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In einem früheren Artikel betrachtete ich den Werdegang eines Rollenspielers - mit dem Hintergedanken, daß durch die Präsentation der Entwicklung und Beschreibung der häufigsten Fehler besseres Rollenspiel ermöglicht wird. Das Rollenspiel kann aber nur verbessert werden, wenn alle Elemente des Spiels betrachtet werden. Was also noch fehlt ist der Spielleiter. Das ist die Person von der alles abhängt (buchstäblich!). Nicht um sonst gibt es zwei Fälle des Unglücks: entweder ist der Spielleiter mit den Spielern unzufrieden, oder die Spieler schimpfen über die Unfähigkeit des Spielleiters. (Na schön, ich geb's ja zu, der dritte Fall wäre: jeder schimpft auf alle anderen...)

Der Weg des Spielleiters
(von Maniac, malecha@hotmail.com)

Eigentlich hört sich die Aufgabe des Spielleiters furchtbar einfach an - er ist nicht mehr und nicht weniger als das einzige Kommunikationsglied zwischen der Fantasiewelt und den Spielern. Er erzählt also der Spielergruppe wie die Landschaft aussieht, was das Wetter macht, beschreibt die vorkommenden Personen etc. Dummerweise reicht das nicht, denn die Spieler wollen unterhalten (sprich in Ereignisse verwickelt) werden.

Nun kommen solche Aufgaben wie eine Handlung aufrechterhalten und womöglich ausdenken (und wehe sie ist nicht mega-toll! Leider ist nicht jeder Q. Tarantino...) hinzu. Dies zieht unweigerlich weitere Aufgaben nach sich: sich in die Rolle der Nicht-Spieler-Charaktere versetzen, mögliche Schritte der Spieler vorausdenken, und vor allem anderen: Improvisieren. Eine ziemliche Bürde verglichen mit dem was der Spieler so leisten muß, nicht?

Was aber noch wichtiger ist, solch breites Spektrum an Verpflichtungen birgt eine Menge Gelegenheiten zu möglichen Fehlern. Eine hohe Fehlerrate des Spielleiters kann effektiver den Spielspaß töten als mögliche Fehltritte der Spieler (oder die Tatsache, daß die Doritos ausgegangen sind - schon wieder!). Offensichtlich sind gute Spielleiter nicht vom Himmel gefallen - ein Lernprozeß ist unweigerlich.

Stufe 1 - Ein überfordertes Individuum

Wenn eine Person keine Ahnung davon hat was von ihr verlangt wird, versucht sie sich an Vorgaben zu orientieren. In diesem Falle sind es vorgefertigte Szenarios. Man liest also eines dieser niedlichen Hefte und versucht sich einen Überblick zu verschaffen. So weit so gut... Im Spiel liest man laut vor und ist glücklich.

Probleme kommen erst auf, wenn etwas nicht im Szenario erwähnt wurde. Die Lücken in der Geschichte zu schließen fällt anfangs schwer. Man fragt sich automatisch, wieviel man verändern darf ohne die Geschichte zu zerstören. Der Hang zur Improvisation ist noch nicht gemeistert und der frischgebackene Spielleiter hat sicher Mühe die NSCs richtig zu verkörpern. (Wir wollen die Probleme die das Regelwerk aufzeigt gar nicht erst erörtern.) Eine Folge davon ist die Vernachlässigung der Spieler. Man achtet nicht all zu sehr auf ihre Bedürfnisse, denn man hat schließlich alle Hände voll zu tun, die Geschichte beisammen zu halten (und in mehreren Regelwerken zu blättern). Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der Spielleiter anfangs darauf erpicht sein, es allen recht zu machen und daher den Spielern gegenüber recht neutral sein.

Stufe 2 - Der Sadist erwacht

Früher oder später merkt ein jeder Spielleiter welch unglaubliche Macht in seinem Amt verankert ist. Das Schicksal im Rollenspiel ist keine Laune der Ereignisse, nein es ist die pure Berechenbarkeit einer Person - des Spielleiters. Manche Spieluniversen haben ihre Götter, doch sie sind nichts im Vergleich zu der Gottheit am Kopf des Tisches, welche die Spieler durch die Fantasiewelt führt. Leider haben die Menschen im Allgemeinen Probleme was Machtstellungen betrifft. Sie lassen sich korrumpieren und von dem Drang nach noch mehr Macht fangen. Das Ergebnis ist immer traurig.

Nachdem also das Leiten des Rollenspiels einigermaßen beherrscht wird, stellt der Spielleiter oft fest wie spaßig es doch sein kann, die Spieler immer wieder mit neuen Schwierigkeiten zu konfrontieren. Für sich genommen ist das kein Beinbruch, da darin der Sinn des Rollenspiels liegt - die Spieler sollen eben Probleme lösen. Schlimm wird es jedoch, wenn der Spielleiter sich in einen Wahn hineinsteigert, in dem er die Schwierigkeitsstufe erhöht - ohne dabei darauf zu achten, ob die Spieler damit klar kommen. Dabei kann es sich um das Ausprobieren eines Monsters handeln (Taraske... klingt gut, ich liebe es, her damit!), die Vorstellung eines neuen Halbgott-NSCs (natürlich ist er in der Lage die Gruppe wegzupusten und muß diese Fähigkeit sofort unter Beweis stellen), das Quälen der Spieler mit Kontrollen jeglicher Art (so viele Konbullen gibt es doch gar nicht!) etc. Hier ist sich der Spielleiter nicht zu schade eigene Szenarios zu entwickeln (da doch die vorgefertigten Abenteuer seinen Geschmack wahrlich nicht treffen...). Seine Einstellung den Spielern gegenüber ist klar feindselig.

Solch sadistische Unternehmungen seitens des Spielleiters können im Nu die Spielercharaktere auslöschen. Von einer Freude oder Dankbarkeit der Spieler kann keine Rede sein. Der Einzige, der Spaß hat, ist der Spielleiter selbst. In gewissem Sinne ist der sadistische Spielleiter das Ebenbild des Powergamers (und wehe diese beiden Typen krachen in einer Spielrunde aufeinander! Der Kalte Krieg war ein Dreck dagegen...).

Normalerweise vergeht diese Laune von selbst, da eine kompetente Spielrunde schnell dem Spielleiter klarmacht, wie wenig sie seine Bemühungen zu schätzen weiß. Wenn der Spielleiter erkennt, daß sich die Spieler nicht zu seinem eigenen Vergnügen versammeln und er nicht wirklich der Feind der Spieler sein soll, ist er bereit die nächste Stufe auf der Entwicklungsleiter zu erklimmen.

Stufe 3 - Der Freund und Helfer

Nachdem die triebhafte, dunkle Seite des Spielleiters besiegt wurde, ist der Weg offen für einen milden, gnädigen Führer. Man findet Gefallen daran, diese putzigen Charakteren auf ihrem beschwerlichen Weg zu begleiten (ohne sie dabei unnötig zu foltern). Die Einstellung der NSCs den Spielern gegenüber ändert sich ebenfalls drastisch. Anstatt ihnen nach dem Leben zu trachten bemühen sich die Personen, die Spielercharaktere in ihre Welt einzubeziehen.

Gekämpft und gehaßt wird zwar immer noch, doch bleibt man nun im Rahmen einer realistischen Handlung. In dieser Position können die Spieler berechtigterweise darauf hoffen, daß der Spielleiter ihnen helfen wird, wenn etwas drastisch daneben geht und ihnen so manchen "tödlichen" Fehler verzeiht. Kurzum, der Spielleiter läßt die Spielercharaktere das abenteuerliche Leben genießen.

Stufe 4 - Der Erschaffer der Stimmung

Irgendwann blickt man zurück und stellt fest, daß das Spiel schon bedeutend besser läuft, dennoch Platz für Verbesserungen vorhanden ist. Man beginnt zu experimentieren und der reinen Erzählung andere Elemente hinzuzufügen. Musik (macht sich immer gut - besonders wenn's die richtige ist), entsprechende Geräuschkulisse, Variieren der Stimme, Lichtverhältnisse usw. Man wird nicht glücklich, wenn die Darstellung nicht perfekt ist.

Auch andere Faktoren gewinnen zusehends an Bedeutung. Beispielsweise gibt sich der Spielleiter nun wesentlich mehr Mühe beim Kreieren neuer NSCs. Man arbeitet sie aus als wären sie eigene Spielercharaktere (was sie auch im Grunde genommen sind). Nicht selten orientiert man sich dabei an ausgezeichneten Charakteren aus Film und Theater. All das dient nur einem einzigen Zweck: eine Stimmung aufzubauen, die es den Spielern ermöglicht sich am besten in ihre jeweilige Rolle hineinzuversetzen.

Dies ist zwar die letzte Entwicklungsstufe des Spielleiters, doch sein Wachstum endet hier nicht. Die Perfektionisierung seiner Darbietung ist ein endloses Unterfangen. Diese Stufe macht lediglich klar, daß der Spielleiter verstanden hat, worin seine Aufgabe liegt - ohne ein endgültiges Urteil über seine Qualität zu geben. Die Unterschiede hierbei können enorm sein.
 

Abschließend möchte ich noch hinzufügen, daß, weil es eine unheimlich schwere Aufgabe ist, einen grandiosen Spielleiterjob zu machen, alle Spieler Geduld mit ihrem "Gott" haben sollten. Es gehört sehr viel dazu und offensichtlich kann diese Aufgabe nicht jeder gleich gut meistern. Im allgemeinen haben die Spieler mehr Spaß am Spiel, was dazu führt, daß es womöglich schwierig ist überhaupt erst einen Spielleiter zu finden (oder auszuwählen). Solltet ihr - Spieler - einen kompetenten Spielleiter euer eigen nennen dürfen, so seid schön lieb zu ihm, auf daß er eure Spielrunde nicht verläßt (denn hunderte von anderen Spielern warten genau darauf!).

Für den Fall, daß sich einige von euch fragen, warum ich denn schon wieder ausgerechnet vier Stufen verwende - die Antwort ist einfach: so laufen die Dinge ab in gekürzter Fassung - man fängt klein an, wird fehlgeleitet, findet auf den richtigen Weg zurück und perfektioniert diesen.

Wie immer basiert dieser Artikel auf meinen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen (immer noch kein Patent auf die Richtigkeit der Rückschlüsse...), also wenn ihr Lücken in den Ausführungen bemerkt habt, zögert nicht zu schreien! Über Feedback freue ich mich immer.

Viel Spaß beim nächsten Spielabend!


© 1998 by Maniac

 

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