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In dem Zeitraum vergangener Jahre wurde viel von "offizieller" Seite über die mangelnde Qualität des Rollenspiels geredet. Vor allem die DSA-Redaktion ließ keine Gelegenheit aus um die Spieler zu ermahnen sich endlich dem Rollenspiel zu widmen, anstatt des üblichen Monsterhackens. Eigentlich klingt es nach einer netten Idee, oder? Aber bringen solche Aufrufe überhaupt etwas? Ist es wirklich so schlecht bestellt um das Rollenspiel, oder haben wir es mit einem völlig natürlichen Zustand zu tun?

Entwicklungsstufen eines Rollenspielers
(von Maniac, malecha@hotmail.com)

Erfahrene Rollenspieler reden gerne vom gehobenen Rollenspiel, echtem Agieren als eine andere Persönlichkeit gemäß ihrer spezifischen Motivation und Charakters, die wiederum durch ihre Herkunft, Vergangenheit und die erlebten Ereignisse geprägt wird. Oft vergessen jene Leute allerdings wie sie mit Rollenspiel angefangen haben, den mühevollen Weg den sie durchmachten, um dahin zu gelangen wo sie jetzt sind. Denn, um das hier gleich völlig klar zu stellen, niemand wird als vollkommener Rollenspieler geboren! Mit Menschen unseres Schlages verhält es sich in etwa wie mit dem Wein: je älter um so besser... Manch einer könnte einen Vergleich zu einem Schauspieler ziehen - nur zu, soviel anders ist es nicht. Und wie in jedem Lernprozess fängt man klein an.

Stufe 1 - Ich bin's...

Und am Anfang war der Mensch, und da er nichts anderes kannte blieb er einfach er selbst...
Was ich damit sagen möchte ist: anfänglich spielt jeder sich selbst. Ein logischer Schritt für einen durchschnittlichen Rollenspieler. Die meisten von uns haben als Jugendliche mit Rollenspiel angefangen. (Teufel... ich kann mich selbst erinnern Vorgänger echter Rollenspielsysteme wie Talisman oder HeroQuest gespielt zu haben, bevor ich zum ersten mal mit einem "echten" RPG Kontakt hatte.) Plötzlich alles anders, man muß sich buchstäblich um jeden Dreck kümmern, ganz zu schweigen von der anfänglich krankhaften Art dieses Spiels. (Na, sind wir uns nicht alle anfangs ganz schön blöd vorgekommen?)

Und diese Erfahrung ist so neu, daß man keine Chance kriegt, Gedanken an den Charakter zu verschwenden den man gerade spielt. Folglich mutiert der Charakter zu einem ins Spieluniversum projizierten Ich, welches oft nur durch passende Kleidung als Einheimischer erkennbar bleibt. Und da hilft auch nicht das Zeitalter des Fernsehens unterstützt durch eine Horde erlesener Literatur, welche einem jungen Spieler Unmengen an verschiedenen Persönlichkeiten zu vermitteln bereit ist, denn der Knackpunkt ist der Spieler selbst. Es liegt nicht daran, daß der Spieler nicht weiß wie der Charakter reagieren soll, sondern ihm fehlt noch die Fähigkeit sich spontan auszudrücken und absolut auf die Rolle zu konzentrieren.

Stufe 2 - Nenne mich Gott, ja genau der...

Nun wird es aber höchste Zeit für die zweite Phase des Entwicklungsstadiums, in welcher der von allen Profis so gefürchtete "Powergamer" die Bühne betritt... (Frenetischer Jubel der Menge!) Wenn man die interaktiven Probleme, welche das Rollenspiel mit sich bringt fürs erste überstanden hat, entdeckt man meist eine andere Facette des Spiels: das Regelsystem.

Dieses ist immer sehr flexibel und erlaubt dem Spieler Charaktere zu entwickeln, die dem Durchschnittsmenschen weit überlegen sind. Eine offensichtliche Machtquelle, von der man so schnell nicht wegkommt, wenn man einst von ihr gekosten hat. (Hütet euch vor der Dunklen Seite!) Ja ja, wer kennt nicht die Charaktere die untereinander Wetten abschließen wer mehr Drachen in einer Kampfrunde... aber lassen wir das. Der Punkt ist, das im Rollenspiel etwas erreicht werden kann was im Leben unmöglich oder zumindest unglaublich schwierig zu bewerkstelligen wäre. Ein Magnet für alle die gerne mal den Boß (Held, Superman) raushängen lassen. Und wer würde das nicht gerne zumindest einmal tun? (Ihr wißt selbst, jene die das abstreiten lügen.)

Nun, ist das schlimm...? Ja! Doch nichts desto trotz, natürlich. Um das zu verstehen müssen wir zu den Ursprüngen zurück. Warum spielen Leute, sogar welche die im Leben ganz fest mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen bleiben Rollenspiele? Warum hat ein jeder von uns überhaupt damit angefangen? Gruppenzwang?! Naja vielleicht um es auszuprobieren... aber niemand zwingt uns dazu fortzufahren. Wir spielen weil wir Spaß an der Sache haben. Und so unglaublich das klingen mag, der Powergamer hält aus dem gleichen Grund an seinem Stil. Er hat Spaß daran, was nicht gleichbedeutend damit ist, daß alle anderen in seiner Gruppe sich ebenfalls daran erfreuen (krasse Untertreibung, es sei denn, alle sind Powergamer. Wenn es einen Spielleiter gibt der das von seiner Gruppe behaupten kann, der tut mir leid und möge er mir seine Erfahrungen diesbezüglich schildern...)

Anzeichen für den Powergamer sind ganz klar: Werteklopferei und kein bißchen Stil. Denken erübrigt sich, denn die Kanone (Schwert o.ä.) verläßt sowieso nicht die Hand... Doch auch wenn man erschreckt irgendwann feststellt: "Sahne... der Chummer spricht ja von mir!", sollte man nicht den Kopf hängen lassen. Denn auch der härteste Powergamer wird irgendwann davon ablassen, allerspätestens, wenn er feststellt, daß es langweilig wird einen Charakter zu spielen welcher aufgrund seiner enormen Fähigkeiten keine echten Herausforderungen hat (denn wie sollen die auch auftreten, wenn man alles mittels brutaler Gewalt lösen kann?!). Fazit: auch diese Phase geht vorüber. (Die Frage lautet jedoch: vergeht sie auch schnell genug...?)

Stufe 3 - Ich bin was immer ich sein will...

Wer die nächste Entwicklungsstufe erklimmt, agiert schon verdammt nah an der Grenze zu einer multiplen Persönlichkeit... Wenn das Powergame am Reiz verliert, gibt es nur eins: man sucht nach neuen Herausforderungen. Und die kommen prompt in Form neuer, zerbrechlicher Charaktere (naja, vielleicht nicht ganz so zerbrechlich, man will sich ja an ihnen eine Weile lang erfreuen...). Man ist froh jeden möglichen Charakter im Spiel auszuprobieren, vor allem Archetypen, die sowieso als schwierig zu spielen gelten.

Allgemeines Anzeichen für diesen Wandel des Geistes ist wohl das Distanzieren von kampfstarken Charakteren. Man versucht alle Ziele eher durch Rollenspiel zu erreichen. Klingt irgendwie nach dem erklärten Gegenbild eines Powergamers, nicht wahr? Vielleicht ist es auch... Wie dem auch sei, das ist die Phase von der die Profis reden: spielen um des Spieles willen. Das Ziel ist der Weg, blablabla. Nun hier könnte man auch anhalten und einfach glücklich sein. Die unterwegs gesammelte Erfahrung erlaubt es nun dem 'vollwertigen' Spieler aus jeder Kampagne und jedem Charakter maximalen Spaß und Befriedigung zu holen.

Tatsächlich beginnt hier auch die Phase in der die Spieler gerne anfangen Kurzgeschichten über ihre Charaktere zu schreiben. Mich deucht, wir haben himmlische Verhältnisse erreicht... Bravo!

Stufe 4 - Jenseits des Spiels...

Nun wird es holperig. Anstatt sich nur auf die möglichst wahrheitsgetreue Wiedergabe der Rolle zu konzentrieren verlagert sich das Interesse des Spielers auf die Perfektionisierung des Charakters. Man versucht aus jeder Rolle das absolut Beste herauszuholen. Durch ständiges Variieren wird die Annäherung an einen immer qualitätsmäßig besseren Charakter erzwungen.

Jeder von uns hat irgendwann im Leben das Bild eines Idols gehabt, welches mit dem Alter und eigener Erfahrung wohl so mancher Änderung unterzogen wurde. Für einige Leute ist das Streben nach einem gefestigten, vielleicht sogar perfekten Charakter ein erklärtes Lebensziel. Das Rollenspiel bietet hierfür ein ausgezeichnetes Testgelände auf dem eigene Vorstellungen ausprobiert und notfalls korrigiert werden können. Es ist zwar nicht das einzig Wahre, da hierfür das soziale Umfeld - bestehend aus dem Spielleiter (der unmöglich alles korrekt steuern kann) und den Spielern (wer weiß welche Entwicklungstufen diese gerade durchleben) - zu beschränkt ist, aber es ist allemal besser als nichts. Aus diesem Grund, verfolgen diese Spieler ihre Idee nicht zu drastisch, und abgesehen davon würde sonst der Spaß irgendwann auf der Strecke bleiben. (Zu philosophisch? Tja nun, das wird wohl jeder für sich entscheiden...)

Solche Spieler neigen dazu die Erfahrung der Charaktere stark in die Rolle zu integrieren um eine Art Markenzeichen der Spielerperson aufzuprägen. Ein offensichtliches Makel welcher die Persönlichkeit des Spielercharakters unterstreichen soll, eine eigene Note eben (obwohl ich zugeben muß, daß dies auch schon vorher präsent sein kann, allerdings aus anderen Gründen). In dieser Phase verliert das Rollenspiel den Status des bloßen Spiels, denn der Charakter ist in der Tat nun wichtiger als die Ereignisse um ihn herum. Der Spieler findet immer mehr Gefallen daran eigene Kurzgeschichten um den Charakter zu schreiben (besonders die jedoch in der Thematik und Qualität sehr wohl von Geschichten Spieler anderer Stufen zu unterscheiden sind).


Abschließend bleibt es mir drei Bemerkungen hinzuzufügen. Erstens: es ist sinnlos von allen Spielern zu erwarten an der Spitze der Entwicklung (oder Erfahrung) zu rangieren.
Zweitens: auch wenn die erwähnten Phasen in der Entwicklung des durchschnittlichen Rollenspielers in der genannten Reihenfolge auftreten, sagt es noch nichts über die Dauer einer solchen Phase. Spieler die mit einer kompetenten Spielrunde gesegnet sind werden die zwei ersten Stufen blitzschnell absolvieren (was auf den positiven Zwang der Gruppe zurückzuführen ist), andere dagegen haben einen langen und mühevollen Weg vor sich (von dem ich jedoch glaube, daß er tatsächlich der Bessere sei, da man selbst alle Erfahrungen macht und freiwillig entscheidet).
Drittens: dieser Artikel basiert auf meinen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen und ich besitze kein Patent auf die Richtigkeit der Rückschlüsse. Also wenn ihr Lücken in den Ausführungen bemerkt habt's, zögert nicht mir eure Meinung kundzutun! (Feedback ist im allgemeinen willkommen.)

Ich wünsche einem Jedem viel Spaß in der nächsten Spielrunde!


© 1998 by Maniac

 

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