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Wie oder Was
(von Daniel Benkmann, worm@daniworm.de)

Tja, seit meinem letzten Artikel sind doch tatsächlich schon wieder vier Wochen ins Land gezogen und da ich in letzter Zeit gar ein paar e-mails bekommen habe, die meine pseudophilosophischen Texte lobten, habe ich mich kurzerhand entschlossen mal wieder meine beiden Gehirnzellen durch leichtes Kopfneigen zusammenzubringen und das Keyboard zu mißhandeln. Nach reiflicher Überlegung bin ich dann schließlich zu dem Entschluß gekommen, doch zur Abwechslung mal etwas über gutes Rollenspiel zu schreiben ;-)

In meinem letzten Artikel mit dem schönen Namen "Respekt" schrieb ich, daß sich meine lieben Spieler gegenüber den Meisterpersonen äußerst schlecht verhalten haben, weil sie eben unter anderem respektlos gegenüber einer offensichtlichen Respektsperson waren. An anderer Stelle, wie zum Beispiel in "Dummheit?" habe ich ebenfalls über äußerst idiotische und aus rollenspielerischer Sicht schlechte Aktionen geschrieben (Äh, bevor ich beginne, meine sämtlichen Artikel nochmal zu zitieren, komme ich lieber zum Punkt). Obwohl ich immer noch der Meinung bin, daß diese Aktionen ein Zeugnis schlechten Rollenspiels sind, bin ich nach mehrtägiger Meditation ohne Nahrung in der Wüste zu einer tiefgründigen Erkenntnis gekommen: Es kommt nicht darauf an, was man tut, sondern wie man es tut! (Also ungefähr wie: Der Weg ist das Ziel!)

Bevor der werte Leser jetzt geschockt von dieser Tiefgründigkeit lieber die T-Online Homepage aufsucht, laßt mich ein paar erläuternde Worte dazu schreiben. Um nicht zu langweilen, werde ich nicht gleich wieder eines der Beispiele aus meinen letzten Artikeln hervorkramen, sondern meine Aussage an Hand eines einfachen, neuen Beispiels erörtern.

Unlängst geschah es also, daß unsere Heldengruppe auf einen seltsamen Steinkreis traf, und nachdem der Spielleiter in schönster Weise die Szenerie beschrieben hatte, gab der Spieler der Rondrageweihten folgendes von sich: "Ich laufe schnell um den Steinkreis rum!" (Zu beachten ist, daß dieser Satz an den Spielleiter gerichtet war, also die Ausführung einer Aktion bekundete) Der eine oder andere mag sich jetzt fragen, was ich denn jetzt schon wieder auszusetzen habe, da die Aktion doch streng genommen gar nicht so dumm ist. Bevor man den Steinkreis betritt, betrachtet man sich das ganze von allen Seiten genauer und sondiert die Gegend.

Schon recht, aber stellen wir uns die Situation mal bildlich vor: Die Heldengruppe betritt die Lichtung mit dem Steinkreis und erlangt einen ersten Eindruck. Plötzlich beginnt die Rondrageweihte ohne ein Wort loszurennen und umrundet lässig den Steinkreis, während die anderen Gruppenmitglieder gar nicht wissen, was eigentlich geschieht. Der Spieler der Rondrageweihten hat mal wieder eindrucksvoll bewiesen, wie wenig er sich eigentlich in seinen Charakter hineinversetzen kann, indem er ohne Beachtung seiner herumstehenden Kameraden oder eventueller Besonderheiten, die an Ort und Stelle vorliegen, einfach losrennt und den Steinkreis umrundet, und das ohne näher zu beschreiben wie er den Steinkreis genau umrundet und was er sich währenddessen genau betrachtet.

Das "Was" war schon richtig, aber das "Wie" war alles andere als perfekt. Der Spieler hätte zumindest erst seinen Freunden mitteilen sollen, was er macht ("Hey Leute, ich werd mir das von allen Seiten mal genauer ansehen. Wartet hier auf mich!") und dann anschließend dem Spielleiter mitteilen sollen, was er eigentlich mit seiner Aktion bezweckt, also auf was er bei der Umrundung besonders achtet, ob er den umgebenden Wald auch absucht oder mit welcher Geschwindigkeit und Gründlichkeit er vorgeht.

Wenn man mal genauer darüber nachdenkt, dann geht es beim Rollenspiel doch im Prinzip eigentlich immer um das Wie. Okay, das Was ist natürlich auch wichtig, aber der eigentliche Reiz des Rollenspiels besteht nicht darin, auf irgendwelche Reize, die einem der Spielleiter vorwirft zu reagieren (SL: "10 Orks greifen an!" Spieler: "Ich zieh' mein Schwert und zerhack' sie!"), sondern seinen Charakter mit Leben zu erfüllen, mit der fiktiven Welt zu verschmelzen, mit Charakteren dieser Welt und den Charakteren seiner Mitspieler zu interagieren, Situationen auf eine "andere" Art und Weise zu lösen. Nun gut, in der Hinsicht wird wohl jeder seine eigene Meinung haben, aber so seh' ich es eben.

Wenn man sich in einem Rollenspiel mit einem NPC unterhält, dann ist es nicht wichtig ihn durch gezielte Fragen die relevanten Fakten aus der Nase zu kitzeln, sondern es ist wichtig mit ihm ein richtiges Gespräch zu führen, seine Persönlichkeit zu erforschen, ihn damit vor dem geistigen Auge zum "Leben" zu erwecken und gleichzeitig seinen eigenen Charakter auf die entsprechende Art auf die Person reagieren zu lassen.

Das Lustige am Rollenspiel ist doch nicht, daß ich jetzt den Steinkreis umrunde, sondern daß ich mit den Charakteren meiner Mitspieler bespreche, warum ich das tun will, und dann vielleicht sogar eine Diskussion über die Gefährlichkeit oder die Schwachsinnigkeit der Aktion entsteht. Das Lustige ist nicht die Tatsache des Umrundes, sondern daß ich beschreibe, daß ich langsam durch das Gras robbe, in dem Bewußtsein, daß ich von allen Seiten angegriffen werden kann. Das Lustige sind dann die vom Spielleiter eingestreuten falschen Alarme, z.B. in Form von aufflatternden Vögeln, die den Charakter nervös machen oder die Schatten, die sich scheinbar zwischen den Steinsäulen bewegen. Das ist es, was Rollenspiel ausmacht und nicht das bloße, nackte agieren wie in einem dieser alten Computertextadventures ("open door", "kill dwarf", "rest", etc.). Auf das Drumherum, also das von mir angesprochene Wie kommt es an!

Und genau aus diesem Grund könnte ich als Spielleiter auch durchaus so einige wirklich arg blöde Handlungen meiner Spieler tolerieren, wenn sie nur auf das Wie achten würden. Zum Beispiel die Sache mit der Respektlosigkeit gegenüber den Praiosgeweihten. Wenn damals meine Rondrageweihte begründet hätte, warum sie so respektlos ist (Liebfelderin, Rondra vs. Praios, Kindheitskomplex, etc.), dann wäre das alles kein Problem gewesen (Man sieht, daß auch immer das Warum essentiell wichtig ist, da es sowohl das Was als auch das Wie hinterfragt. Aber dazu vielleicht ein andermal mehr.). Sie hätte diese Begründungen ohne Probleme in die Gespräche mit den NSCs oder den SCs einflechten können ("Diese Praiospfaffen sind doch alle gleich. Damals in Drol hatten wir es auch mit so einem zu tun ...") und dadurch hätte sie noch zusätzlich ihren Charakter um einige Aspekte bereichern können.

Wenn meine Spieler nur immer alles ausführlich begründen würden, dann würde ich ihnen ohne weiteres auch erlauben, den Boten des Lichts zu ohrfeigen. Allerdings muß das Wie natürlich auch stimmen und sinnvoll sein (besonders im vorher genannten Fall). Auch kann erst durch das Wie eine richtige Atmosphäre entstehen und wenn die Spieler ihre Aktionen nicht genau beschreiben und begründen, dann schwebt das Rollenspiel im luftleeren Raum.

Hmm, jetzt hab' ich doch irgendwie das Warum und das Wie vermischt, aber beide Fragen sind wirklich eng verknüpft, denn das Warum muß ich irgendwie in mein Wie einbauen können. Wenn ich weiß, warum mein Charakter so handelt, dann muß sich das in gewisser Weise auch in meinem Wie widerspiegeln (in meinem Was natürlich erst recht), damit mein Charakter nicht nur in meinem eigenen Kopf existiert, sondern die Mitspieler auch etwas von seinem Innenleben mitbekommen können und sich ihre Gedanken über den Charakter machen. Da liegt meiner Meinung nach auch ein besonderer Reiz des Rollenspiels: daß man sich nicht nur über seinen eigenen Charakter Gedanken macht, sondern auch über NSCs und andere SCs. Tja, ist nicht leicht, diese ganze Sache mit dem Was, Wie und Warum, aber bei jeder Handlung seines Charakters sollte man sich diese drei Fragen stellen, wobei die Hierarchie in der angegebenen Reihenfolge abläuft, also die vorhergehende Frage immer durch die nachfolgenden hinterfragt wird: Was tue ich, Wie tue ich dieses Was, Warum tue ich dieses Was, Warum tue ich diese Was gerade so?

Als ich unlängst in einer eineinhalb (!) Stunden langen Diskussion mit meinen Spielern über gutes Rollenspiel (es scheint noch Hoffnung zu bestehen) diesen Punkt zur Sprache brachte, meinte einer meiner Spieler, daß er sich das ganze ja im Kopf denken würde. Dazu ist zu sagen, daß es natürlich einige Leute gibt, die eine große Fantasie besitzen und sich zu solchen einfachen Sätzen wie "Ich renne um den Steinkreis" eine ganze Szene vorstellen können und vielleicht auch ihre Begründungen im Hinterkopf haben, aber leider Gottes können weder Mitspieler noch Spielleiter Gedanken lesen und damit stimmiges Rollenspiel entsteht ist es unbedingt erforderlich, daß alle diese Gedanken der Spieler irgendwie in Worte umgesetzt werden, damit durch die vereinigte Fantasie aller Spieler und des Spielleiters eine unvergeßliche Erfahrung entsteht. Ja, man hat sogar noch viel mehr Spaß, indem man bewußt mit Beschreibungen seiner Aktionen übertreibt und den Mitspieler somit auch noch mehr Angriffspunkte für ihre eigene Interaktion bietet.

Um nochmals auf das Beispiel mit den Praiosgeweihten zurückzukommen. Wenn man sich ihnen gegenüber schon respektlos verhalten muß, dann kann man das doch genausogut mit kleinen Sticheleien und hinter schönen Worten versteckten Beleidigungen tun, anstatt ihnen gleich ins Gesicht zu brüllen: "Du Arschloch!" Das würde nicht nur mehr Spaß machen, sondern wäre gleichzeitig auch noch gutes Rollenspiel (Das allmächtige Wie läßt grüßen). Was will man eigentlich mehr?


© 1997 / 2001 by Daniel "Worm" Benkmann

 

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