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Vergiss die reale Welt!
(von Daniel Benkmann, worm@daniworm.de)

Ursprünglich wollte ich ja eigentlich ein paar Tips zum guten Rollenspiel schreiben und zwar nicht irgendwelche Wischiwaschi (geiles Wort :-) Tips, sondern ganz konkrete Hilfen für Rollenspieler, wie sie ihr Rollenspiel verbessern können. Nun, einer dieser Tips sollte sein: Vergiß die reale Welt. Dieser Tip hört sich zwar ziemlich Wischiwaschi an (und in Wirklichkeit ist er dies auch), aber es ist wohl die wichtigste Grundlage zum Rollenspielen überhaupt. Was ist denn Rollenspielen schon anderes als das Eintauchen in eine alternative Realität (sehr vornehm ausgedrückt)? Schließlich habe ich gemerkt, daß man zu diesem Thema so viel schreiben kann, daß es eigentlich schon eine getrennte Abhandlung verdient hätte. Nun, hier ist sie also.

Wie bereits gesagt ist Rollenspiel im Prinzip das Spielen von Charakteren in einer fremden Welt. Um so seltsamer ist es, daß viele Rollenspieler genau mit diesem Punkt so ihre Schwierigkeiten haben. Es fällt ihnen schwer, ihr wirkliches Leben in den Hintergrund zu stellen und sich stattdessen in einem anderen Leben wiederzufinden. Praktisch zeigt sich dies in verschiedenen Situationen, die im Spiel vorkommen können, und die jeden Versuch von gutem Rollenspiel sabotieren. Nehmen wir mal ein einfaches Beispiel (aus einer DSA-Runde) her, das ich so oder so ähnlich schon mehrmals erlebt habe:

Meister: Ihr sitzt jetzt also in dem Boot und steht kurz davor wagemutig durch die tödlichen Stromschnellen zu breschen. Wer von euch will das Ruder übernehmen?

Spieler 1(schaut auf sein Charakterblatt): Ich hab' nur Boote Fahren 2. Hat jemand mehr?

Spieler 2: Ich hab' 5!

Spieler 3: Ich hab' sogar 6!

Und so weiter und so fort. Nehmen wir noch ein anderes Beispiel:

Meister: Das Ungetüm starrt dich mit seinen toten Augen an, daß dir ein Schauer über den Rücken läuft...

Spieler: Hey, ich hab' Mut 16! Mir macht so leicht nichts Angst!

Solche Situationen sind der Killer für das Rollenspiel als solches, denn hier werden die Charaktere auf ihre Werte reduziert - der Rollen-Teil am Spiel geht verloren. Wenn man in seinem Charakter nicht mehr als nur irgendwelche Werte sieht, sollte man das Rollenspiel vergessen und sich lieber irgendein Würfelspiel oder ein "Rollenspiel" am Computer reinziehen.

Natürlich sind die Eigenschaftswerte eines Charakters wichtig. Ganz ohne irgendwelche Regeln und Werte wäre wahrscheinlich auch das Rollenspiel witzlos, da alles irgendwie wischiwaschi (ha, ich hab's wieder geschafft dieses Wort einzubauen) ablaufen würde, aber man sollte auch nie vergessen, daß die Werte eines Charakters auch dazu da sind um ihn zu charakterisieren.

Um wieder auf meine Überschrift zurückzukommen - in den obigen Beispielen konnten die Spieler eben einfach nicht vergessen, daß ihre Werte nur in der realen Welt existieren, und daß ihre Charaktere ja eigentlich keine genaue Ahnung von ihren Eigenschaften haben. Sie müssen sich ganz auf ihre eigene Erfahrung und Einschätzung verlassen. Ich kann ja auch nicht sagen: "Hey, ich habe Rechnen 10!", sondern ich kann höchstens sagen: "Hey, ich bin im Rechnen extrem gut!". Genau so sollten auch die Spieler ihre Eigenschaften darstellen, wenn zum Beispiel die Frage aufkommt, wer in der Gruppe am besten Boote fahren kann.

Hieraus entsteht auch ein besonderer Reiz, da jeder Spieler (und auch Charakter) andere Maßstäbe hat. So könnte es im obigen Beispiel dazu kommen, daß der Charakter mit Boote Fahren 2 das Steuer übernimmt, nur weil er ein hoffnungsloser Angeber ist und gesagt hat, daß er am besten Boote fahren kann, obwohl er eigentlich am schlechtesten von allen diese Fertigkeit beherrscht.

Ein besonderes Greuel sind mir als Spielmeister auch diese ständigen Vergleiche der Charaktere, welcher denn der bessere ist. Manchmal behandeln die Spieler ihre Charaktere wie Autos und sie geben mit ihren Werten vor ihren Kumpeln an. Die Streitgespräche die daraus entstehen sind nicht nur der Gruppenharmonie unzuträglich, sondern zerstören auch das Rollenspiel. Wenn die Spieler unbedingt messen wollen, wer von ihnen der beste ist, so sollen sie dies doch in einem rollenspielerischen Wettstreit tun. So könnten zum Beispiel zwei Krieger einen Kampf bis zum ersten Blut miteinander ausfechten, um zu bestimmen, wer von ihnen der bessere Kämpfer ist.

Ein weiteres Problem, das daraus entsteht, daß viele Spieler nicht die reale Welt von der fiktiven trennen können, ist, daß viele Spieler ihren Charakteren Wissen geben, daß ihnen eigentlich nicht zusteht. Dies ist vor allem in einem Fantasy-Rollenspiel wie DSA wichtig, da dort der Stand der Forschung ungefähr dem unserer Frührenaissance entspricht. Aber viele Charaktere scheint dies nicht zu kümmern. Ohne sich etwas dabei zu denken, wendet der Magier in seinem Labor die Kenntnisse an, die sein Spieler erst gestern im Chemie-Unterricht erlangt hat, und die natürlich erst in ungefähr hundert Jahren ans Licht kommen. Noch krasser wird es, wenn der Krieger der Gruppe munter drauflos die Dampfmaschine erfindet, obwohl er eigentlich sowieso von Technik keine Ahnung hat. Schlimm ist es auch, wenn der Spieler die Werte irgendeines Monsters kennt und auf diesem Wissen seine Entscheidung basiert. Da kann das Monster noch so furchterregend aussehen, der Spieler weiss ja, daß es nur 15 Lebenspunkte hat und stürzt sich deshalb fröhlich ins Kampfgetümmel.

Sicher ist es schwer, sein Wissen einfach zu vergessen - ja es ist sogar schier unmöglich. Aber das heißt ja nicht, daß es für den Spieler unmöglich ist, seinen Charakter so zu spielen als hätte er das Wissen nicht. Eine leichte Möglichkeit dies zu simulieren ist, immer das zu tun, was man auf Grund des Wissens des Spielers eigentlich nicht tun würde, selbst wenn einen dies in arge Gefahr bringt. Schließlich macht erst die Gefahr das Rollenspiel so interessant und der Spielleiter muß den Charakter ja nicht gleich umbringen, vor allem dann nicht, wenn es der Charakter nicht besser gewußt haben kann.

Ein weiterer Dorn im Auge vieler Spielmeister sind sicherlich die blöden Kommentare, die die Spieler in jeder Situation loslassen müssen. Egal, ob die Charaktere gerade durch düstere Katakomben schreiten oder in der Folterkammer eines Erzbösewichts angekettet sind, irgendein dummer Witz fällt den Spielern immer ein. Das mag zwar lustig sein, stört aber auch das Rollenspiel. Nun, ich behaupte, daß es selbst unter Androhung der Todesstrafe unmöglich ist, jegliche Witze der Spieler zu unterbinden, und wer will das auch schon? Schließlich soll das Rollenspiel ja Spaß machen! Trotzdem bin ich der Meinung, daß die Spieler sich anstrengen sollten, in Situationen, in denen die Atmosphäre wichtig ist, ihre kleinen Witzchen zu unterlassen. Nanu, vielleicht fragt sich jetzt schon der ein oder andere, was das ganze eigentlich mit meiner Überschrift zu tun hat. Nun, wenn sich die Spieler bemühen würden die reale Welt zu vergessen, würden automatisch auch weniger dumme Sprüche losgelassen werden, da diese Sprüche ja von den Spielern und nicht den Charakteren gemacht werden. Wenn der Spieler schon eine witzige Bemerkung machen will, so soll er diese seinem Charakter in den Mund legen. Natürlich werden dadurch solche Bemerkungen wie "Der Waldschrat sieht aus wie mein Mathelehrer!" automatisch unterbunden, weil sie aus dem Mund des Charakters nicht sehr viel Sinn ergeben. Gegen andere witzige Bemerkungen, die der Charakter macht, obwohl die Situation eigentlich nicht witzig ist, ist eigentlich auch nicht so viel einzuwenden - man muß sich ja nur mal einen Bruce Willis Film anschauen, in dem er auch in den krassesten Situationen komische Sprüche von sich gibt.

So, ich glaube ich habe jetzt erst mal genug zu dem Thema gesagt. Jede Gruppe muß sowieso für sich selber entscheiden, wie sie spielen will. Wer mich kritisieren will, kann dies gerne tun.


© 1997 / 2001 by Daniel "Worm" Benkmann

 

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