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Mein Erstes Mal
(von Torsten Krämer, caspian@gmx.net)
Ich bin ganz aufgeregt. Heute ist mein Erstes Mal. Die Jungs in der Schule
haben ja schon lange davon geredet. Wie toll es sei. Wieviel Spaß
es machen würde. Das man es sogar mit Mädchen machen kann. Das
es mit mehreren am meisten Spaß macht. Aber irgendwie habe ich mich
nie wirklich reif dafür gefühlt. Bis, ja bis... Bis ich Klaus
kennenlernte. Klaus hat mich nicht einfach ausgelacht und als "Kind" beschimpft,
so wie die anderen, die es machen. Klaus war total lieb und nett und verständnisvoll.
Er hat sich echt Mühe gemacht, auf meine individuellen Wünsche
einzugehen. Er ist der richtige für mein Erstes Mal. Gleich wird es
passieren.
Mein Herz pocht ängstlich und doch schrecklich gespannt in meiner
Brust. Ich steige die Stufen zur Tür von dem Haus, in dem Klaus wohnt,
hinauf. Ich klingele. Seine Mutter öffnet mir und sieht mich lächelnd
an. Ich schlucke. Seine Mutter. An die habe ich ja noch gar nicht gedacht.
Ob sie mich wohl akzeptieren wird.
"Guten Tag...", bringe ich mühsam hervor, "..ich möchte zu
Klaus... Wegen... Sie wissen schon... Sie wissen doch, oder?".
"Aber sicher, du spielst mit ihnen Rollenspiel, nicht wahr?"
Ich nicke erleichtert. Wie hätte ich es erklären sollen.
"Sie sind unten im Kellerzimmer. Viel Spaß."
Ich steige die Stufen der Kellertreppe hinab. Ein letztes mal frage
ich mich insgeheim, ob es richtig ist, es zu wagen. So lange kenne ich
Klaus und die anderen ja auch noch nicht. Aber was soll's, ich will es
ja auch. Und Klaus hat mir versprochen, daß nichts gegen meinen Willen
geschieht. Vorhin war ich sogar noch bei der Apotheke... Bißchen
Traubenzucker kaufen, so als Knabberzeugs...
Ich öffne die Tür und trete ein.
"Hallo...", sage ich vorsichtig.
Fünf Augenpaare blicken mich an. Erschrocken mache ich einen Schritt
zurück. "Hallo, da bist du ja endlich, komm', setz dich.", begrüßt
mich Klaus. Die anderen nicken mir zu.
Ich nehme Platz und mustere meine Mitspieler. Sehen sich alle ziemlich
ähnlich. Dick, Brille, Pickel. Chipstüte in der Hand. Vor sich
ein Blatt Papier, einen Bleistift, ein paar Würfel.
Werde ich auch dick und pickelig wenn ich mitspiele? Gehören hormonelle
Veränderungen einfach dazu?
"So, jetzt basteln wir dir mal einen Charakter.", sagt Klaus.
Ich nicke nur, als Papier, Stift und Würfel vor mich gelegt werden.
Zögernd greife ich die Würfel.
"Einfach fallen lassen", flüstert mir Klaus aufmunternd zu. Ich
fasse mir ein Herz und lasse die Würfel auf den Tisch fallen.
"1...1...2. Also Stärke 4. Stark bist du schon mal nicht.", grinst
mich einer der anderen an.
Ich sehe ihn an. "Immer noch stärker als du, Schwabbel", entkommt
es mir. Immerhin mache ich seit drei Jahren Judo.
Das Grinsen auf seinem Gesicht erstarrt und die Chipskrümel auf
seiner Unterlippe treten unschön hervor.
Er sieht mir in die Augen. Seine Backen blasen sich in Zeitlupe auf.
Ein paar Krümel verlassen seine Mundwinkel und fallen auf das Blatt
vor ihm. Sein Blick wird eindringlicher. Ich habe das Gefühl, er möchte
mir etwas Wichtiges sagen...
"Häh?", ertönt es schließlich.
"Schon gut, er hat's nicht so gemeint, ist doch neu...", schlichtet
Klaus.
Zu mir meint er: "Nein, nein, dein Charakter ist schwach."
Ich schniefe. "Klaus, das ist nicht nett. Nur weil ich früher
mal einen Kaugummi geklaut habe heißt das nicht, daß ich einen
schwachen Charakter habe...", flüstere ich und fühle mich an
einem wunden Punkt getroffen.
"Nein, der Charakter, den du spielen sollst, der ist schwach. Du weißt
doch, die Rolle, in die du schlüpfst, habe ich dir doch erklärt."
Ach so. Warum sagt er das denn nicht gleich?
"Aber warum muß ich einen schwachen Charakter spielen?", frage
ich.
"Naja, du hast halt so gewürfelt.", lächelt Klaus mich an.
"Ich wäre aber gerne stark."
"Du hast aber so gewürfelt."
"Wie stark ist man denn mit Stärke 4?"
"Nun... Im Vergleich zu einem normalen Menschen, meinst du?"
"Ja."
"Etwa wie ein Dackel im Vergleich zu einer Dogge."
Toll. Und das soll Spaß machen?
"Warum soll ich einen Dackel spielen?"
"Nein, nein, so war das doch nicht gemeint, mehr im übertragenen
Sinn."
Einer der dicken, pickeligen Mitspieler mischt sich rülpsend ein:
"Oh geil, können wir übertragen? Ich kriege die Flecken nicht
mehr von
meinem alten Plan...".
Plan? Wer hat einen Plan? Ich nicht.
"Nein, könnt ihr jetzt nicht, wir wollen gleich anfangen.". Irgendwie
klingt Klaus genervt.
"Na gut, dann eben nicht...", murrt der dicke Pickelige Nummer 3.
"Warum machen sie, was du sagst, Klaus?", frage ich. Man sollte doch
bei einem so heiklen Thema über alles reden können, oder?
"Weil ich ihr Meister bin.", grinst Klaus.
Ich rücke etwas weg und sehe ihn kritisch an.
"Ihr Meister?"
Wo bin ich hier bloß hingeraten? Es sollte doch etwas schönes
sein... Ohne Zwänge und so.
"Ja, ihr Meister. Stimmt's, Jungs?"
Die vier dicken pickeligen nicken, so daß Millionen Chipskrümel
von ihren Mündern zu Boden rieseln.
"Aha... Du, Klaus, ich bin mir nicht so sicher, ob das hier das richtige
für mich ist...", sage ich langsam, während ich auf meinem Stuhl
Richtung Tür rücke.
"Doch, doch, ist es bestimmt. Aber jetzt müssen wir erstmal schauen,
welche Stufe du bist..."
"Stufe? Welche Stufe? Wie meinst du das?"
Klaus grinst.
"Na, daß du am Anfang nicht auf einer Stufe mit den anderen stehst
ist doch klar."
Ich wende leicht den Kopf, um mir Dick und Pickelig Nummer 1 und seine
drei Klone anzusehen. Mit denen nicht auf einer Stufe??
"Ähm... da fällt mir ein, gleich gibt's Essen zu Haus.",
bringe ich hervor, springe auf und laufe aus dem Haus.
Auf dem Weg nach Hause wische ich mir ein paar Tränen aus den Augenwinkeln.
Ich dachte, Klaus wäre anders. Aber irgendwie sind sie wohl alle gleich.
Ich glaube, ich schreibe mal Dr. Sommer, was er von Rollenspielen hält...
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