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Neulich in unserer Heldengruppe
(von Kheran, kheran@otherworlds.de)

Man stelle sich einen schönen Abend im Lieblichen Feld vor, genauer gesagt in Vinsalt zum 1. Rahja. Wie sicherlich einigen DSA-Spielern bekannt beginnt an diesem Tag das "Fest der Freuden". (Das betreffende Kaufabenteuer gibt übrigens einen sehr genauen Ablauf eines solchen Festes als Richtlinie an).

Normalerweise müßte man als Meister also davon absehen eine solche der Göttin Rahja gefällige Feier in ein "Friß, Sauf, Fick"-Gelage ausarten zu lassen. Normalerweise. Nehmen wir also an, daß es mindestens einen Meister gibt, der darauf weniger achtet. Rollenspielstimmung kommt so verständlicherweise nur sehr dürftig auf, dennoch hat der Großteil der Gruppe offensichtlich Gefallen daran.

Nun stellt sich aber ein recht unangenehmer Effekt ein: just an diesen Tagen stirbt ein Held. Ja Moment, werden einige grinsend einwenden, der hätte sich halt nicht so anstrengen dürfen auf diesem Rahja-Fest. Daran lag es aber (leider) nicht, sondern an einem Höhepunkt des Festes. Dieser bestand darin, daß für die ganze Bevölkerung umsonst Regenbogenstaub ausgegeben wurde.

Mal davon abgesehen, daß dieses Rauschmittel eigentlich illegal ist, daß zur Herstellung alle Höhlendrachen Süd-Aventuriens hätten abgeschlachtet werden müssen, daß keine noch so reiche Institution freiwillig ca. 25.000 Portionen Regenbogenstaub zu einem Preis von ca. 30 Dukaten erwerben würde (also insgesamt alleine für diese Veranstaltung des Rahja-Festes 750.000 (!) Dukaten in den Sand setzen würde) und mal ganz davon abgesehen, daß der Meister der Meinung war, der Held würde eigentlich am nächsten morgen einfach so wieder aufwachen (ist er dann doch nicht, aus Protest des Spielers, der ihn gespielt hat), da auf magische Weise alle negativen Effekte des Traumpulvers eliminiert, alle positiven Effekte aber beibehalten wurden (würde man dies betrachten, wäre nämlich der Preis in etwa um den Faktor zwanzig höher anzusetzen), fand ich diese Situation doch leicht störend.

Leider war das nicht alles, denn viel störender war, daß weder die Tatsache, daß dieses Rauschmittel ausgegeben wurde, noch die Tatsache, daß ein Held daran verreckt ist, noch die Tatsache, daß insgesamt das ganze Fest zu einer einzigen Farce ausgeartet ist und bestimmt nicht im Sinne der Rahja verlief, von gerade mal der Hälfte aller anwesenden Mitspieler überhaupt wahrgenommen wurde. Die andere Hälfte saß absolut desinteressiert am Tisch, und wartete mehr oder weniger nur auf die nächste Szene, wo wieder eine Aktion gefordert, also nicht freiwillig war.

Man führe sich also oben beschriebene Situation einmal geistig vor Auge. Da mich das ganze wie gesagt schon etwas gestört hat, habe ich später den Meister noch einmal auf diese Situation angesprochen und eben obige Kritikpunkte geäußert. Als Antwort bekam ich dann zu hören, daß er da eben mehr auf die Fantasy-Elemente als auf den Realismus geachtet hätte und die Regeln ja nur als Vorschlag gedacht wären. Dies hat mich dann daran erinnert, daß ich schon früher immer wieder von Regelauslegungen überrascht wurde, sowohl als Spieler als auch als Meister, die mit eben dieser Begründung geführt wurden.

Wegen der zweiten Sache habe ich dann auch meine Mitspieler gefragt, warum sie so unbeteiligt dagesessen sind. Dort bekam ich als Anwort, sie seien eben schlecht drauf gewesen.

Diese Aussagen haben mich dann zu folgenden Fragen geführt:

  1. Inwiefern sind feste Regeln und Richtlinien in einem Rollenspiel sinnvoll, und inwieweit kann auf so etwas verzichtet werden?
  2. Inwiefern hängt die Motivation eines Mitspielers eigentlich von der Tatsache ab, ob überhaupt eine Rollenspielstimmung aufgebaut wird oder nicht?
  3. Wie viele Fantasy-Elemente gehören überhaupt in ein Fantasy-Rollenspiel bzw. wie realistisch sollte so ein Rollenspiel eigentlich sein?

Zu 1.: Ganz grob pauschalisiert erscheint das Rollenspiel zunächst wie viele Brettspiele. Allerdings spielt man im Unterschied zu den normalen Brettspielen im Rollenspiel in der Regel nicht gegen sondern miteinander, auch wenn es Gruppen geben soll, die dieses Spielprinzip wohl gezielt mißverstehen. Außerdem passiert beim Rollenspiel noch einiges, das mit dem eigentlichen Ziel (Auftrag) gar nichts zu tun hat. Es sind ja oftmals diese Nebenhandlungen und kleinen Szenen, in denen richtiges Rollenspiel aufkommt, welche die ganze Sitzung erst zu einem Erfolg werden lassen.

Trotzdem kann man sagen, daß das Ziel ist, zusammen etwas zu unternehmen, an dem man Spaß hat. Und meistens hat man auch im Rollenspiel ein gesetztes Spielziel (den Auftrag zu erfüllen), das man zusammen nach gewissen Regeln verfolgt. Diese Regeln und deren eventuelle Variationen werden bei jedem normalen (Brett-)Spiel vor dem Spiel gemeinsam mit allen Mitspielern erläutert. Und das hat auch einen Sinn, der sich aus einem einfachen (etwas überzogenen) Beispiel ersehen läßt:
Man stelle sich ein Spiel wie Monopoly vor, bei dem jeder der gerade am Würfeln ist, die Regeln seinen Variationen anpaßt. Selbst wenn alle ruhig bleiben und gute Miene zum bösen Spiel machen, dürfte eines ersichtlich werden: lustig, interessant oder fair ist das Spiel so nicht.

Dieses Beispiel soll eines verdeutlichen: Schon bei den Regeln muß von Anfang an eine einheitliche Linie in Absprache mit den Mitspielern gezogen werden, die dann auch befolgt wird oder nur in erneuter Absprache mit den Mitspielern geändert werden kann. Denn auch für alle Rollenspieler ist eines verständlich: Wenn der eine Meister eine Regel einführt, die ein anderer nicht befolgt, nimmt das dem Spieler allein deshalb schon Spielspaß weg, da er sich jedesmal wieder neu an die Regeln gewöhnen muß.

Ich will damit aber nicht sagen, daß jede Regel so gespielt werden muss wie sie im Regelbuch steht. Das sollte keineswegs so sein, aber wenn man eine neue, bessere Regel für einen Fall hat dann muß man sie vor (oder in Ausnahmen auch, um den Spielfluß nicht zu stören, nach) einer Sitzung mit allen anderen absprechen, damit die Regel in Zukunft einheitlich angewandt wird.

Man kann also sagen, daß feste Regeln durchaus sinnvoll, eigentlich sogar notwendig sind. Auf sie sollte nur in Ausnahmen verzichtet werden, um z.B. den Spielfluß nicht zu stören. Damit aber wirklich in einem einheitlichen System, das auch allen Spaß macht, gespielt werden kann, sollten solche Ausnahmen nicht zur Regel werden. Um feste Regeln aufzustellen, ist natürlich von allen Mitspielern die Bereitschaft zu einem Kompromiss erforderlich.

Nun zu 2.: Wie oben schon erwähnt wurde, handelt es sich beim Rollenspiel um ein Gruppenspiel, d.h. die einzelnen Mitglieder haben einen aktiven Anteil an der Gestaltung des Spielverlaufes. Und da es ein interaktives Gruppenspiel mit komplizierten Regeln ist, gehört viel Engagement dazu. Es reicht einfach nicht, sich zusammen zu setzen und mit der Einstellung "Dann spielen wir halt mal" und "Wie wir das handhaben ist mir im Grunde egal" den Versuch zu starten, die Rahmenbedingungen, will sagen Regeln, für das Spiel zu bestimmen. Dieses fehlen an Elan bewirkt nur eins: das andere Mitspieler ebenfalls in den "Ist mir egal"-Sumpf mitgezogen werden.

Desweiteren ist es vielleicht ausreichend zu sagen "Spielen wir halt irgendwie, egal wie Hauptsache lustig" wenn man einfach nur eine Interaktive Gaudi in einer fremden Welt erleben will. Aber um eine Rollenspielstimmung aufzubauen, die das Gefühl geben soll in einer anderen Welt zu sein, die nicht nur auf Witz und Lust abzielt sondern auch Tragik, Romantik und Spannung vermitteln soll, bei der man auch manchmal das Gefühl bekommen soll, wie phantastisch das gerade Erlebte war, dafür reicht das beileibe nicht.

Resümiert ergibt sich also folgendes:

  1. Bevor man zusammen anfängt, in einer Gruppe Rollenspiel zu betreiben, sollte man eine Sache klären: Wollen die anderen Teilnehmer einfach eine Gaudi haben und/oder ihr kaputtes Ego aufpäppeln ("Mein Charakter hat einen höheren Wert als Deiner"), oder sind sie wirklich daran interessiert in eine fremde Welt voller Geheimnisse und Mythen gezogen zu werden, und sind sie auch willens, sich anzustrengen sich diese Welt in ihrer Phantasie vorzustellen? Denn der Wille dazu und die Vorstellungskraft selbst sind Grundvoraussetzung für eine gute Rollenspielstimmung.
  2. Auch gilt es zu klären, bevor man anfängt in einer Gruppe Rollenspiel zu betreiben, ob man bereit ist, die nötige Motivation aufzubringen, den anderen das Rollenspiel nicht zu vermiesen, aber vor allem ob man dazu bereit ist, gemeinsam Entscheidungen zu fällen und Kompromisse einzugehen und sich nicht entweder bei jeder Kleinigkeit Quer zu stellen oder mit einer "Ist mir Egal" Einstellung anzukommen. Auch wenn das jetzt spießig klingt: Wir leben in einer Gesellschaft, und die Gabe der sinnvollen Interaktion und Gruppenarbeit ist heutzutage wichtiger als je zuvor. Da bricht es niemandem etwas ab, schon hier mit so etwas anzufangen.

Deshalb läßt sich hier ebenfalls zusammenfassend sagen, daß die Motivation zum Rollenspielen sinnvoll, eigentlich sogar notwendig für ein "Rollenspiel" ist. Natürlich kann man nicht jedesmal 100%ig motiviert sein und sich "voll reinhängen", es gibt eben Tage an denen man nicht so gut drauf ist. Dann sollte man sich aber mal vorher fragen, ob an solchen Tagen Rollenspiel überhaupt eine sinnvolle Beschäftigung ist bzw. ob man nicht doch noch ein klein wenig Restmotivation aufbringen kann, um wenigstens den anderen nicht das Spiel zu vermiesen. Und wie schon gesagt: Kompromißbereitschaft ist auch hier Voraussetzung Nummer 1.

Doch nun zu der letzten der drei Fragen. Wie stark dürfen, oder sollten, nun also Fantasy-Elemente in einem Fantasy-Rollenspiel vertreten sein? Ich denke, auf diese Frage gibt es keine objektive Antwort, die für jeden einzelnen Rollenspieler seine Richtigkeit besitzt. Trotzdem möchte ich behaupten, so richtig subjektiv ist die jeweilige Antwort auch nicht. Wieso? Betrachten wir doch noch mal die beiden obigen Fragen. Beides mal ist klar, daß nur in Absprache mit dem Rest der Gruppe ein vernünftiges Zusammenspiel möglich ist. Und ich bin davon überzeugt, hier ist das ganz genauso. Wie zuvor auch sollte sich nun die Gruppe zusammensetzen und als Gruppe entscheiden, wie phantastisch das Spiel sein soll. Und wie bei beiden obigen Fällen ist es absolut notwendig kompromißbereit zu sein. Denn ansonsten spielt jeder in seiner eigenen Welt sein eigenes Rollenspielsystem. Und da kann man ziemlich schnell ziemlich einsam werden....


© 2000 by Kheran

 

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